Somatoforme Schmerzen

Die somatoforme Schmerzstörung – wenn die Psyche chronische Schmerzen verursacht

Chronische Schmerzen ohne organische Ursache sind ein sehr komplexes Krankheitsbild und nehmen in ihrer Diagnose und Therapie häufig viel Zeit in Anspruch. Vielleicht haben auch Sie mit Ihren Beschwerden bereits mehrfach Ärzt:innen aufgesucht, ohne eine konkrete Diagnose zu bekommen, oder die Behandlungsversuche haben den Schmerz nur kurzfristig gelindert. Möglicherweise haben Sie auch schon von Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt die Diagnose somatoforme Schmerzstörung erhalten und wissen nicht genau, was darunter zu verstehen ist. Wir erklären in diesem Artikel, was sich hinter dem etwas sperrig klingenden Begriff verbirgt, welche Ursachen eine somatoforme Schmerzstörung haben kann und wie sie behandelt wird.

Was bedeutet „somatoforme Schmerzstörung“?

Schmerz ist vielfältig und hat häufig eine psychische Komponente. Das gilt vor allem, wenn er lange andauert oder sogar chronisch ist. Tritt in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine psychosoziale Belastungssituation auf, wie zum Beispiel die Pflege oder der Tod eines nahen Angehörigen oder der Verlust des Arbeitsplatzes, so kann dies einen Einfluss darauf haben, wie der Schmerz wahrgenommen wird. (1) Gibt es keine organische Ursache für die anhaltenden Schmerzen, spricht man auch von somatoformen Schmerzen.

Als somatoforme Schmerzstörung werden (nach ICD-10) subjektiv empfundene, mindestens sechs Monate anhaltende Schmerzen bezeichnet, die auch nach umfassender medizinischer Diagnostik nicht hinreichend durch eine körperliche Ursache erklärt werden können. Man muss in diesen Fällen davon ausgehen, dass den Beschwerden psychische oder soziale Belastungen zugrunde liegen, vor allem wenn ein seelisch stark niederdrückendes Ereignis zeitlich mit dem Beginn der Schmerzen zusammenhängt. (2) Das unterscheidet somatoforme von chronischen Schmerzen, die aufgrund eines physischen Auslösers entstehen, z. B. durch Schäden am Bewegungsapparat.

Somatoforme Störungen sind ein häufiges Phänomen: 12,9 Prozent der Menschen leiden einmal in ihrem Leben daran. (3) Damit gehören somatoforme Störungen neben Depressionen und Angsterkrankungen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. (4)

Ursachen und Auslöser somatoformer Schmerzen

Bei Betroffenen sind Schmerz und negative Gefühle miteinander verknüpft, oft tritt in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit den Schmerzen auch eine psychische Belastungssituation auf. So können Stress und permanente Überforderung, wie zum Beispiel durch einen Trauerfall, eine schwere Trennung oder durch den psychischen Druck bei der Pflege eines Angehörigen Auslöser für diese Form der chronischen Schmerzen sein. (5)

Chronische Schmerzen

Viele chronische Erkrankungen wie Rheuma, Durchblutungsstörungen bei Diabetes oder Arthrose können mit Schmerzen verbunden sein. Sie kommen immer wieder oder dauern über einen langen Zeitraum an. Der Schmerz kann aber auch zu einer eigenen Krankheit werden, er chronifiziert. Dieser chronische Schmerz besteht dann auch weiter, obwohl die körperliche (somatische) Ursache nicht oder nicht mehr vorhanden ist. Aber nicht jeder Schmerz wird bei jedem Menschen chronisch. Ob sich eine Schmerzkrankheit entwickelt, hängt von der genetischen Veranlagung und psychosozialen Faktoren ab. Psychische Belastungen erhöhen das Risiko, dass Schmerzen chronisch werden. Eine frühzeitige Therapie kann eine Chronifizierung verhindern. Deshalb ist es so wichtig, dass Schmerzen so früh wie möglich richtig diagnostiziert werden. Das gilt auch bei somatoformen Schmerzen. (6)

Digitale Schmerztherapie

Folgebeschwerden sind möglich

Neben Schmerzen in vielen unterschiedlichen Bereichen des Körpers treten auch Beschwerden wie Atemnot, Unterleibsbeschwerden, Herzrasen und – häufig als Folge der Schmerzen – Schlaflosigkeit oder depressive Zustände auf. (7)

Wer Schmerzen hat, sucht selbstverständlich nach einer eindeutigen Ursache: Tut die Ferse weh, sodass jeder Schritt zur Qual wird, könnte ein Fersensporn dahinterstecken. Schmerzt der Hals, ist wahrscheinlich eine Erkältung im Anmarsch. Hat man den Grund erkannt, kann das Problem angepackt, die verletzte Stelle geheilt werden. Auch falls der Genesungsprozess langwierig sein sollte: Es gibt einen offensichtlichen Ansatz, den man verfolgen kann. Das hilft dabei, durchzuhalten und gibt Hoffnung, dass sich die Beschwerden bessern werden.

Betroffenen einer somatoformen Schmerzstörung bleibt eine solch eindeutige Diagnose und daraus resultierende klare Behandlung häufig lange verwehrt. Lesen Sie im folgenden Abschnitt mehr darüber, wie Sie den Weg zur Therapie abkürzen können.

Die häufigste somatoforme Schmerzstörung sind Rückenschmerzen. (8)

Von der Diagnose zur Behandlung: Wo erhalten Betroffene angemessene Hilfe?

Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens 25 Prozent aller Patient:innen mit unklaren physischen Beschwerden auf der Suche nach einer Diagnose vergeblich eine haus- oder fachärztliche Praxis oder Notaufnahme aufsuchen, da ihre Beschwerden keine organische Ursache haben. Der Grund: Nicht organische Auslöser sind die Ursache für ihre Beschwerden, sondern seelisches Leiden. (9) Das macht die Diagnose bei diesen Patient:innen so kompliziert.

Diese Erfahrung machen Menschen mit somatoformer Schmerzstörung häufig. (10) Viele diagnostische Maßnahmen, z. B. MRTs oder Blutbilder, bleiben ohne Ergebnis. Eigentlich wäre das erfreulich, da eine schwerwiegende Erkrankung wie ein Tumor oder eine Herzerkrankung ausgeschlossen werden können. Stattdessen löst die ausbleibende Diagnose vielleicht eine Kaskade von Gedanken bei Betroffenen aus: „Scheinbar gesund. Also alles gut? Doch die Beschwerden sind da! Ich kann die Schmerzen spüren, wieder und wieder. Woher kommen sie? Was soll ich jetzt tun? Vielleicht wurde etwas übersehen?“

Betroffene haben oft eine wahre Odyssee an Arztbesuchen hinter sich. (10) Auch ohne gesicherte Diagnose gab es möglicherweise verschiedene Therapieversuche, vielleicht wurden sogar Maßnahmen auf eigene Kosten ausprobiert.

Oft hören Betroffene aus ihrem Umfeld tatsächlich irgendwann eine Unterstellung wie: „Du bildest dir die Schmerzen nur ein.“ Das möchte niemand hören, der unter dauerhaften, stark belastenden Beschwerden leidet.

In der Medizin wird der Zusammenhang von Körper und Seele zunehmend stärker in Betracht gezogen – und hier liegt die Chance für von einer somatoformen Schmerzstörung Betroffene. (11) Am besten wendet man sich an Fachärzt:innen, die diesen Ansatz bereits verfolgen, wie Ärzt:innen für Psychosomatik oder mit der Zusatzqualifikation „Schmerztherapie“. Auch Psychotherapeut:innen und Psycholog:innen sind sensibilisiert für die Probleme von Menschen mit Schmerzen, die durch psychische Belastungen ausgelöst werden, und können daher individuell helfen.

Geeignete Ansprechpartner:innen finden Sie auf der Website gesund.bund.de. Dort können Sie gezielt nach (Fach-)Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen und anderen Spezialist:innen in der Nähe Ihres Wohnortes suchen.

Dank des ganzheitlichen Blickes auf den Menschen verliert eine Aussage wie „Das ist die Psyche“ vielleicht zukünftig ihr Stigma, und somatoforme Schmerzstörungen werden gleichwertig mit einer durch physische Verletzungen oder Viren, Bakterien und andere Krankheitsauslöser ausgelösten Erkrankung gesehen. Die Schmerzen zu beheben, ist dennoch häufig kompliziert. Die Prozesse in unserem Inneren sind weniger offensichtlich und von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Im folgenden Abschnitt erfahren Sie mehr über mögliche Behandlungsansätze.

Wie kann eine somatoforme Schmerzstörung behandelt werden?

Welche Ursache auch immer hinter den Schmerzen steckt, unbehandelt droht immer die Gefahr, dass die Beschwerden bleiben oder sogar schlimmer werden. Eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung kann jahrelanges Leid für die Schmerzpatient:innen bedeuten. Unter Umständen kann sie zu Berufsunfähigkeit und Frühverrentung führen. Deshalb sollte man einer solchen Chronifizierung in jedem Fall entgegenwirken. Auch das Umfeld, das häufig mitleidet, profitiert, wenn sich Beschwerden des Familienmitglieds bessern.

Um die geeignete Therapie zu bestimmen, besprechen Ärzt:innen und Patient:innen zunächst gemeinsam die genauen Symptome und mögliche weitere Probleme wie Schlafstörungen, Angstzustände oder sozialen Rückzug.

Bei einer Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren ist die Therapie individuell und vielseitig, man spricht von einem multimodalen Behandlungsansatz.

Hierzu gehören: (12)

  • Psychotherapien, um die Schmerz- und Stressverarbeitung im Gehirn positiv zu beeinflussen und mögliche soziale Umstände oder zurückliegende Traumata zu besprechen
  • Achtsamkeitstherapien und Entspannungsverfahren wie autogenes Training
  • körperliche Therapien wie Physiotherapie, Akupunktur oder craniosacrale Therapie, Chirotherapie oder TENS-Behandlungen
  • computergestützte Biofeedback-Therapien oder schmerzbezogene Hypnose
  • medikamentöse Therapien bei Bedarf

 

Ist also die somatoforme Schmerzstörung richtig erkannt worden, bieten sich viele Ansätze, sie zu behandeln. (13) Auch Digitale Gesundheitsanwendungen, die sofort zugänglich sind und eigenständig angewendet werden, stellen eine Behandlungsoption dar. Die Kosten dieser sogenannten DiGA werden nach Verordnung durch Ärzt:innen oder Psychotherapeut:innen von den Krankenkassen übernommen. Sie haben auch die Möglichkeit, direkt bei Ihrer Krankenkasse dazu nachzufragen. Der Online-Kurs von Selfapy bietet Unterstützung bei chronischen Schmerzen und Rückenschmerzen, ist flexibel durchführbar und kostenfrei auf Rezept erhältlich.

Wie Schmerz entsteht

Schmerz entsteht nicht an der Stelle, an der er ausgelöst wird. Hier sitzen zwar die Schmerzrezeptoren, also die „Schmerzfühler“ des Organismus, diese geben allerdings lediglich ein Signal über Schmerzbahnen weiter an das Gehirn. Auf dem Weg dorthin können Schmerzreize an Schmerzknotenpunkten verstärkt werden. Dabei werden dieselben Bahnen von unterschiedlichen Körperbereichen genutzt. Das kann es dem Gehirn erschweren, die Schmerzen einer bestimmten Körperregion zuzuordnen – ein Herzinfarkt beispielsweise kann sich durch Schmerzen im Schulterbereich bemerkbar machen. Im Gehirn werden die eingehenden Schmerzsignale bewertet, und als Antwort darauf wird das Schmerzempfinden aktiviert. Von der Schmerzverarbeitung im Gehirn hängt auch ab, wie stark Schmerzen empfunden werden.

 

Kann aufgrund einer somatoformen Schmerzstörung Rente bewilligt werden?

Manchmal sind die Belastungen durch den somatischen Schmerz so stark, dass man dadurch arbeitsunfähig wird. Doch wie sieht es dann mit der Rente aus?

Eine volle Erwerbsminderungsrente kann beantragen, wer weniger als drei Stunden täglich arbeiten kann. Ist man in der Lage, mindestens drei, aber höchstens sechs Stunden am Tag einen Beruf auszuüben, kommt die Teilerwerbsminderungsrente infrage.

In beiden Fällen gelten bestimmte Voraussetzungen, beispielsweise muss man mindestens drei Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt haben, und zwar in den vergangenen fünf Jahren. Man hat allerdings das Recht, die Rente durch einen zusätzlichen Verdienst aufzubessern.

Die Deutsche Rentenversicherung informiert hier über die Erwerbsminderungsrente.

 

Hat man Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis?

Betroffene, die über sechs Monate unter Störungen ihrer Gesundheit leiden, die nicht typisch für ihr Alter sind, gelten aus Sicht des Gesetzgebers als Menschen mit einer Behinderung. Die Gesundheitsstörung kann körperlicher, aber auch geistiger oder seelischer Natur sein.

Der Grad der Behinderung (GdB) wird in Zehnerschritten gemessen. Wenn ein Behinderungsgrad von 50 Prozent oder höher festgestellt wird, erhält man einen Schwerbehindertenausweis. Dieser berechtigt zu sogenannten Nachteilsausgleichen: Menschen mit Beeinträchtigungen haben oft erhöhte Kosten, beispielsweise für Arznei- und Hilfsmittel oder Pflege. Gleichzeitig müssen sie eventuell ihre Arbeitszeiten reduzieren und dadurch Gehaltseinbußen hinnehmen. Zudem kann die gesellschaftliche Teilhabe erschwert sein.

Diese Nachteile sollen zum Beispiel durch Ermäßigungen bei Eintrittsgeldern, kostenlose Tickets für öffentliche Verkehrsmittel, Steuerfreibeträge oder Unterstützung bei Hilfen im Haushalt ausgeglichen werden. Aber auch besonderer Kündigungsschutz, zusätzliche Urlaubstage oder Anspruch auf einen früheren Renteneintritt gehören zu Ansprüchen, die sich aus dem Grad der Behinderung ergeben.

Die Adresse der zuständigen Behörde, bei der ein Schwerbehindertenausweis beantragt werden kann, erhält man vom städtischen Bürgeramt.

 

Der VdK Deutschland informiert hier über den Schwerbehindertenausweis und beantwortet häufige Fragen rund um den Grad der Behinderung (GdB). Der Verband berät außerdem in sozialrechtlichen Fragen rund um die Erwerbsminderungsrente.

Auch die Deutsche Schmerzliga e. V. bietet Unterstützung in rechtlichen Fragen: Das Schmerztelefon ist von Montag bis Freitag zwischen 9 und 11 Uhr erreichbar; montags auch von 18 bis 20 Uhr.

Mehr zum Grad der Behinderung bei anhaltenden Schmerzen wie der somatoformen Schmerzstörung hat die Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. hier zusammengestellt.

Quellen:

(1) DEGAM Leitlinie Chronischer Schmerz AWMF-Registernr. 053/036 Klasse S1.
(2) Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. Seelenschmerz. Online unter https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/schmerzerkrankungen/seelenschmerz-somatoforme-schmerzstoerung. Zuletzt abgerufen am 26.04.2023.
(3) Meyer C et al. Lebenszeitprävalenz psychischer Störungen in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung. Ergebnisse der TACOS-Studie. Nervenarzt. 2000 Jul;71(7):535–42. Online unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/10989807/. Zuletzt abgerufen am 07.11.2022.
(4) eMedpedia Springer Medizin, Somatoforme Schmerzstörungen. Online unter https://www.springermedizin.de/emedpedia/praktische-schmerzmedizin/somatoforme-schmerzstoerungen?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54670-9_25. Zuletzt abgerufen am 07.11.2022.
(5) Ärztezentrum Nordstadt. Somatoforme Schmerzstörungen. Online unter https://www.schmerz-hannover.de/portfolio/somatoforme-schmerz-stoerungen/. Zuletzt abgerufen am 26.04.2023.
(6) Deutsche Schmerzgesellschaft e. V. Chronische Schmerzen. Online unter https://www.schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen/herausforderung-schmerz/chronische-schmerzen. Zuletzt abgerufen am 07.11.2022.
(7) DocCheck Flexikon. Online unter flexikon.doccheck.com/de/Somatoforme Schmerzstörung. Zuletzt abgerufen am 07.11.2022
(8) Alexander Kugelstadt. Dann ist das wohl psychosomatisch. Mosaik, 2020. S. 143.
(9) Alexander Kugelstadt. Dann ist das wohl psychosomatisch. Mosaik, 2020. S. 314.
(10) AWMF Leitlinie Funktionelle Körperbeschwerden. Online unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/051-001. S. 13. Zuletzt abgerufen am 10.05.2023. Zitiert nach: Alexander Kugelstadt. Dann ist das wohl psychosomatisch. Mosaik, 2020.
(11) Deutsche Schmerzgesellschaft. Schmerzen verstehen. Online unter https://www.schmerzgesellschaft.de/fileadmin/2021/pdf/DS_Flyer_Patienten_Schmerzen_Cewe_20012021_Screen.pdf. Zuletzt abgerufen am 10.05.2023.
(12) AWMF Leitlinie Funktionelle Körperbeschwerden. Online unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/051-001. Zuletzt abgerufen am 07.11.2022.
(13) Anne Ruprecht. Unzumutbare Wartezeiten für Schmerzpatienten. Online unter www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Unzumutbare-Wartezeiten-fuer-Schmerzpatienten,schmerzpatienten102.html. Zuletzt abgerufen am 07.11.2022.